Gespräche mit dem Atem

Nach über 13 Jahren Shiatsupraxis könnte ich meine Behandlungen auch „Gespräche mit dem Atem“ nennen.

Ich höre dem Atem zu, ich sehe ihn, nehme ihn wahr, ich beobachte ihn, und ich „spreche“ mit ihm, denn er zeigt mir den Weg. Vor vielen Jahren machte mich mein japanischer Shiatsulehrer Akinobu Kishi das erste Mal darauf aufmerksam, den Atem in der Behandlung wahrzunehmen. Kam ein tiefer Atemzug der Klient:in, blies Kishi ganz sanft über den Körper, um das „unreine“, das „schlechte“ Qi, das dort in Form von „schwarzem Rauch“ herauskam, wegzupusten. Von ihm lernte ich auch, nach der ersten Kontaktaufnahme mit der Klient:in solange zu verweilen, und „Nichts“ zu tun, bis wir „zusammen atmeten“.

Der Beginn der Resonanz.

Gleich am Anfang, sobald die Klient:in neben mir liegt, schaue ich mir den Körper an, und nehme den Atem wahr. Wie ist seine Qualität? Flach, tief, schnell, langsam, klopfend im Bauchraum, begrenzt, bis wohin? Gleich am Anfang, wenn ich in den ersten Kontakt mit dem Körper der Klient:in gehe, warte ich, bis sich der Atem verändert hat. Fast immer wird er tiefer und ruhiger.

Die Änderung des Atems ist für mich der Beginn der Behandlung. Während ich Shiatsu gebe, bin ich offen auch für feinste Atembewegungen. Ich nehme sie wahr, und schaue, wie, und ob sich der Atem verändert. Wird er tiefer? Dringt er in neue Körperräume vor? Gibt es tiefe Atemzüge, zeigt mir das, dass sich die Energie bewegt. Dauern die tiefen Atemzüge über eine längere Zeit an, zeigt mir das, dass sich die Klient:in, ihr Körper, in einem Prozess befindet. Ich kann zum Beispiel bei Dehnungen darauf eingehen, und meinen Rhythmus in Tiefe und Länge und Wiederholungen der Dehnung anpassen. Das „Gespräch mit dem Atem“ entsteht also in verschiedenen Momenten: Beim Ankommen, bei Dehnungen, beim Halten verschiedener Punkte, beim Da-Sein. Ich lausche, verweile, oder nehme den schnelleren Rhythmus auf, je nachdem, was mir der Atem erzählt. Wichtig ist, nie „mechanisch“, oder „nach Plan“ zu behandeln, denn dann hörst du ihn nicht. Ich bin immer offen für „Zwischenrufe“, und gehe darauf ein. Nicht nur tiefe Atemzüge, auch feine, ganz unscheinbare Bewegungen sehe ich. Dafür nehme ich eine immer offene Haltung ein, lasse mir etwas zeigen. Manchmal bewegt sich der Atem wie eine unsichtbare Welle, direkt unter der Haut. Manchmal atme ich mit, oder voraus, Durch diese „Gespräche“ entsteht eine Interaktion mit der Klient:in, kreative Behandlungen, die mich immer wieder erfreuen, begeistern, und staunen lassen.

Susanne Eichhammer, Dezember 2022

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